Wirkleistung, Blindleistung, Scheinleistung, Impedanz
Im Energiehandel, im Vertrieb, in vielen Bereichen der Energiewirtschaft kommt man gut damit durch, das Netz als Kupferplatte und den Strom als ein Wertpapier zu betrachten, das virtuell gehandelt wird. Erzeugung und Netzbetreiber wissen, dass es nicht so ist. Im Folgenden ein paar Grundlagen zum Rechnen mit Wechselstrom.
Was ist Wirkleistung, was ist die Blindleistung, die auch in vielen Kundenverträgen auftaucht und warum rechnen die Elektrotechniker mit komplexen Zahlen? Im Folgenden ein kleiner Einstieg für Nicht-Ingenieure und ein paar pädagogisch wertvolle Referenzen.
Wechselstromkreis mit ohmschem Widerstand
Elektrischer Strom hat eine Spannung U und eine zugehörige Stromstärke I. In einem Schulbuch-Stromkreis (Gleichstrom) mit einem einzelnen ohmschen Widerstand
ergibt sich die Leistung P wie wir gelernt haben als
Bei Wechselstrom verändern sich allerdings sowohl die Spannung als auch die Stromstärke mit der Zeit. Im einfachsten Fall eines ohmschen Leitungswiderstandes ist die Stromstärke ein Vielfaches der Spannung. Spannung und Stromstärke zeigen einen parallelen Verlauf:
Im UTCE Netzverbund herrscht eine Frequenz f von 50 Hz. Somit dauert eine volle Periode des Sinus 1/50 Sekunden. Pro Zeit wird also der Winkel
durchlaufen. Mit der so definierten Winkelfrequenz ω werden Spannung und Stromstärke in diesem Fall wie folgt beschrieben:
Die Dachgrößen bezeichnen dabei die Amplitude der Sinusschwingungen.
Die Leistung ergibt sich als das zeitabhängige Produkt von Spannung und Stromstärke. Sind Spannung oder Strom gleich Null, so ist auch die Leistung Null. Ansonsten sind in diesem Fall entweder Spannung und Stromstärke beide positiv oder beide negativ. Somit ergibt sich immer immer eine positive Leistung. Tatsächlich ergibt sich als Produkt von zwei Sinusverläufen wieder eine (verschobene) Sinuskurve mit doppelter Frequenz:
In unserem Fall ergibt sich als Produkt von Spannung und Stromstärke somit:
Bei einer Frequenz von 50 Hz und Amplituden von 1 sieht die Leistung wie folgt aus.
Die mittlere Leistung P ergibt sich aus der maximalen Stromstärke und der maximalen Spannung als:
Mit der Effektivleistung U und der Effektivstromstärke I definiert wie folgt
gilt dann wieder:
Wechselstromkreis mit Induktivität und Kapazität
Im Allgemeinen wird ein Netz jedoch sehr komplex aussehen, zahlreiche Verzweigungen haben, und nicht nur ohmsche Widerstände, sondern allerlei Transistoren und induktive Elemente enthalten:
Diese Elemente führen zu einem zeitlichen Versatz zwischen dem Verlauf von Spannung und Strom. Bei induktivem Verhalten läuft der Strom der Spannung nach, bei kapazitivem Verhalten vor. Insgesamt ergibt sich in einem real-existierendem Netz immer ein Versatz zwischen dem Spannungs- und dem Stromstärkeverlauf:
Die Leistung ergibt sich auch hier als Produkt von Spannung und Stromstärke und hat selbst wieder eine Sinusform. Sie ist Null, wenn eine der beiden Größen Null ist. Allerdings ergeben sich in diesem Fall auch Zeiträume, in denen Spannung und Stromstärke verschiedene Vorzeichen haben und die Leistung somit negativ wird:
Um zu ermitteln, welche Leistung tatsächlich als Wirkleistung zur Verfügung steht, zerlegt man nun die Stromstärke in einen Teil der synchron zur Spannung verläuft und einen dazu komplementären Teil.
Zeigerdarstellung
Eine solche Zerlegung ist sehr intuitiv, wenn man Stromstärke und Spannung als Zeiger darstellt. Eine Funktion der Form
ist bei fester Frequenz durch die Amplitude a und den Winkel φ eindeutig beschrieben und lässt sich als ein Vektor mit Länge a und Winkel φ in der Zahlenebene darstellen:
Wie man leicht sieht, sind die trigonometrischen Gleichungen erfüllt. Dies ist nicht erstaunlich, denn ein Sinus ist nur eine gegen die Zeitachse aufgetragene Kreisbewegung:
Bei gleicher Frequenz bestimmen sich die Werte durch den Phasenwinkel φ und die Amplitude a. Da es beim Rechnen mit Zeigern nur auf die Winkeldifferenzen ankommt, werden bei der graphischen Darstellung üblicherweise keine Achsen gezeichnet. Mehr zur Rechnen mit Zeigern findet sich bei youtube, z.B. hier.
Wirkleistung, Blindleistung, Scheinleistung
Mit der Zeigerdarstellung lässt sich nun eine zum Spannungsverlauf um den Winkel φ verschobene Stromstärke in einen synchron zur Spannung verlaufenden Anteil und einen dazu orthogonalen Anteil zerlegen:
Nach dem Satz des Pythagoras ergibt sich die Amplitude für den Wirkanteil des Stroms dann als
für den Blindanteil des Stroms als
Dies entspricht der trigonometrischen Formel, wonach sich ein Sinus mit Phasenverschiebung wie folgt darstellen lässt:
Somit lässt sich die verschobene Stromstärke in einen parallel zur Spannung verlaufenden Teil:
und einen komplementären Teil
zerlegen. Durch Multiplikation mit der Spannung ergeben sich Wirkleistung und Blindleistung:
Es ergibt sich somit eine Wirkleistung (active power) in Höhe von
Die Blindleistung (reactive power) schwankt mit doppelter Frequenz um Null, hat also keinen effektiven Anteil. Die Amplitude ergibt sich als:
Das naive Produkt unter Vernachlässigung der Phasenverschiebung
bezeichnet man als Scheinleistung (apparent power).
Gemäß üblicher Konventionen wird die Wirkleistung in Watt (W), die Blindleistung in VAR und die Scheinleistung in VA angegeben.
Gemäß dem Satz von Pythagoras gilt:
Die Auflösung nach dem Betrag von Q misst die Höhe der verlorenen Wirkleistung (Phasenverschiebung, sowie auch Abweichungen von der Sinusform):
Komplexe Darstellung
Die gerade präsentierte Zeigerdarstellung ist zwar anschaulich, aber noch nicht ganz rechentauglich. Praktikabel wird es mit dem Rechnen erst, wenn man die zweidimensionalen Zeiger als komplexe Zahl in der komplexen Zahlenebene interpretiert.
1. Spannung und Stromstärke als rotierende Zeiger
Nach der Eulerschen Identität lässt sich der Einheitskreis der komplexen Ebene als E-Funktion darstellen:
In der Elektrotechnik bezeichnet man die imaginäre Einheit mit j. Mit der beschriebenen Identität lässt sich ein oben beschriebener Zeiger mit der Amplitude a und dem Phasenwinkel φ als komplexe Zahl darstellen:
Im Folgenden geht es jedoch um eine komplexe Darstellung des zeitabhängigen Verlaufs von Spannnung und Stromstärke. Dafür stellt man sich Spannung und Stromstärke als rotierende Zeiger wie in obigem Bild vor und erhält:
oder analog für die Stromstärke
Der zeitinvariante Teil dieser Darstellung ist genau der Zeiger für die Phasenverschiebung. Er zeigt an, mit welchem Winkel die betreffende Spannung oder Stromstärke einer Referenz vorauseilt (positiv) oder nacheilt (negativ). Der reelle Anteil (die Projektion der Drehung auf die reelle Achse) gibt die gewohnte trigonometrische Funktion, die messbare Spannung bzw. Stromstärke beschreibt.
2. Wechselstromwiderstand / Impedanz
Wie bei Gleichstromnetzen kann nun ein Widerstand wie üblich definiert werden:
Diesen Widerstand bezeichnet man als Impedanz. Wie man sieht, ist die Größe eine zeitunabhängige komplexe Zahl. Besteht kein Phasenunterschied zwischen Spannung und Strom, so handelt es sich um einen ohmschen Widerstand, der durch eine reelle Zahl beschrieben wird. Der Imaginärteil der Impedanz beschreibt die durch das „Hindernis“ verursachte Phasenverschiebung.
Ein (idealer) Kondensator hat die Impedanz
C ist dabei eine Konstante des Kondensators.
Eine (ideale) Spule hat die Impedanz
L ist dabei wiederum eine Konstante der Spule.
Spule und Kondensator bewirken durch die Multikation mit bzw. Division durch j eine Phasenverschiebung um +- 90 Grad.
3. Kirchhoffsche Gesetze
Der Vorteil an der komplexen Darstellung ist, dass die Kirchhoffschen Gesetze für die komplexe Darstellung von Strom und Spannung weiterhin erfüllt sind. D.h.
- In einem Knotenpunkt eines elektrischen Netzwerkes ist die Summe der zufließenden Ströme gleich der Summe der abfließenden Ströme
- Alle Teilspannungen eines Umlaufs bzw. einer Masche in einem elektrischen Netzwerk addieren sich zu null
Es addieren sich die vollständigen komplexen Darstellungen wie auch im besonderen die Zeiger für Amplitude und Phasenverschiebung. Man kann nun Spannung und Stromflüsse in Schaltungen ohne Rückgriff auf trigonometrische Funktionen berechnen. In den meisten Fragestellungen ist nur der zeitunabhängige Anteil – der Zeiger – relevant. Wer ein Beispiel sehen will, oder all dies genauer wissen möchte, kann sich das in den zahlreichen Videos von Hrn. Löviscach ansehen. Weiterhin finden sich im Internet und insbesondere auf youtube zahlreiche Rechenbeispiele für einfache oder verbreitete Schaltungen. Viel Spaß dabei!