Kraftwerksvermarktung & Dispatch

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Einsatzoptimierung, optimaler Dispatch und optimale Absicherung der Marktrisiken von Kraftwerken an den Energiemärkten zur Maximierung des Ergebnisses

Als Kraftwerkseinsatzoptimierung bezeichnet man die Ermittlung des wirtschaftlich optimalen Einsatzes vor allem für thermische Kraftwerke. Die resultierende konkrete Einsatzentscheidung bezeichnet man als Dispatch des Kraftwerks. Einsatzoptimierung, optimaler Dispatch und die Vermarktungsentscheidungen an den Energie-Terminmärkten haben einen großen Einfluss auf die mit der Erzeugung erzielten Ergebnisse. Die hiermit verbundenen Einzelaufgaben sowie die dafür erforderlichen Steuerungsgrößen sollen im Folgenden dargestellt werden:

Clean Spark Spread und Clean Dark Spread

Eine erste Messgröße für die Wirtschaftlichkeit eines konventionellen Kraftwerks ist der Clean Spark Spread (Gaskraftwerke) bzw. der Clean Dark Spread (Kohlekraftwerke). Dieser Spread bestimmt sich in jeder Zeiteinheit als:

S_t = E_t - 1/\eta  \cdot  G_t - z \cdot C_t

wobei

η der Wirkungsgrad des Kraftwerks
Et der Preis eines 1 MW-Stromkontraktes
Gt der Preis eines 1 MW-Gas- oder Kohlekontraktes
Ct der Preis pro Tonne CO2
z die CO2-Emission in Tonnen pro MWh Strom
t die betrachtete Zeiteinheit

Solche Kenngrößen werden oft in Marktberichten ausgewiesen. Die Parameter für die Spreadberechnung müssen genau dokumentiert werden, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Der in einem Marktbericht ausgewiesene Spread könnte beispielsweise für Gaskraftwerke mit einem Wirkungsgrad η von 49,13% rechnen, für Kohlekraftwerke mit 38% und bei den Strom- und Gaspreisen jeweils Jahresbaseprodukte des Folgejahres betrachten.  Die CO2-Emission in Tonnen pro MWh Strom könnte mit 0,411 tCO2/MWh berücksichtigt worden sein.

 

In Wirklichkeit sind die Gas- und Kohlemengen pro erzeugte MWh Strom für jedes Kraftwerk und je nach Fahrweise unterschiedlich. Das tatsächlich erzielte Kraftwerksergebnis hängt auch von konkreten Vermarktungsentscheidungen an den Energiemärkten ab. Somit handelt es sich bei einer solchen Kenngröße nur um einen Markt-Indikator. Die Entwicklung von Clean-Spreads zeigt, wie sich die allgemeine Marktentwicklung auf durchschnittliche Gas- bzw. Kohlekraftwerke auswirkt. Clean-Spreads sind eine beliebte Kenngröße in der politischen Diskussion.

 

Eine Berechnung des Clean-Spark-Spreads mit obigen Parametern zeigt deutlich die sinkende Wirtschaftlichkeit von Gaskraftwerken in den letzten Jahren:

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Rahmenbedingungen der Kraftwerkseinsatzoptimierung

Für die optimale Steuerung des eigenen Kraftwerks sind jedoch die Kennzahlen Clean Spark Spread und Clean Dark Spread nicht ausreichend. Vielmehr resultiert die Bestimmung des wirtschaftlich optimalen Einsatzes des eigenen Kraftwerks in einem relativ komplexen Optimierungsproblem, das in der Regel mit spezialisierter Software bearbeitet wird. Dafür müssen jedoch zunächst ein paar Vorarbeiten geleistet werden.

1. Stillstandsplanung

Kraftwerke haben aus technischen Gründen geplante Stillstände. In diesen Zeiträumen werden Reparaturen oder Revisionen durchgeführt. Optimal ist es, wenn Stillstände aus technischen und wirtschaftlichen Gründen zusammenfallen. Das heißt, technische Maßnahmen werden nach Möglichkeit in Zeiträumen durchgeführt, in denen das Kraftwerk ohnehin nicht wirtschaftlich betrieben werden kann oder in denen der Stillstand  möglichst wenig kostet.

 

Ein Entscheidungskriterium für die Stillstandsplanung ist somit die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks im Jahresverlauf. Hierzu muss der individuelle Wirkungsgrad des Kraftwerks bestimmt werden. Dann werden die stündlichen Strompreise (HPFC) und Gaspreise (DFC) des Planjahres mit diesem Wirkungsgrad zueinander in Bezug gesetzt. Man erhält eine zeitliche Auflösung des Spreads im Jahresverlauf:

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Der Verlauf zeigt hier den niedrigsten mittleren Spread im Mai, so dass ein Stillstand dann am günstigsten ist. Ein genaueres Ergebnis erhält man, indem man eine Einsatzoptimierung nach unten beschriebenem Schema ohne Einschränkung durch Stillstände durchführt und hieraus die am wenigsten profitablen Zeiträume ermittelt. Äußere Restriktionen können dazu führen, dass ein Stillstand zur wirtschaftlich optimalen Zeit nicht möglich ist. Zum Beispiel könnte es sein, dass das Kraftwerk während dieser Zeit wegen der Fernwärmelast noch fahren muss. Ebenso müssen Terminrestriktionen der Wartungsfirmen, längerfristig vereinbarte Revisionszeiträume und vieles mehr berücksichtigt werden.

 

Die eigentliche Einsatzplanung kann jedenfalls erst erfolgen, wenn die Stillstandsplanung abgestimmt ist und somit die Verfügbarkeit des Kraftwerkes feststeht.

2. Technische Restriktionen des Kraftwerks

Die ausschließliche Betrachtung des Spreads zwischen Strom und Gas oder Kohlepreisen führt zu dem Schluss, dass das Kraftwerk in jeder Viertelstunde, wo dieser Spread positiv ist, mit voller Leistung fahren sollte, in allen anderen Viertelstunden aber stehen sollte. Tatsächlich kann ein Kraftwerk einen solchen Fahrplan nicht abfahren. Es müssen technische Restriktionen berücksichtigt werden, die in der Praxis dazu führen, dass ein Kraftwerk in Stunden noch fährt, die nicht mehr profitabel sind und in Stunden noch nicht fährt, die bereits profitabel sind. Solche Restriktionen sind beispielsweise:

  • Maximal- und Minimalleistung
  • maximale Laständerungsgeschwindigkeit
  • Anfahrtszeiten
  • Anfahrtskosten für Kalt- und Warmstart
  • Mindestbetriebszeit nach dem Start

3. Restriktionen aus der Fernwärmeversorgung

Liefert das Kraftwerk auch Wärme oder Dampf für Industrieprozesse, müssen weitere Restriktionen berücksichtigt werden. Stehen keine alternativen Wärmequellen oder Speicher zur Verfügung, so hat das Kraftwerk oftmals defakto keine Flexibilität. Der Dispatch folgt dann dem Wärmebedarf (wärmegeführte Fahrweise). Sind Speicher oder alternative Wärmequellen vorhanden, so muss der Dispatch des Gesamtsystems aus Kraftwerk, Wärmebezug aus anderen Quellen und Einsatz des Speichers optimiert werden. Für die Einsatzoptimierung des Gesamtsystems stellt der prognostizierte Wärmebedarf eine weitere Restriktion dar. Flexibilität kann auch aus den Industrieprozessen selbst kommen. In diesem Falle sind diese Industrieprozesse ebenfalls Teil des Optimierungssystems.

4. Vertragliche Restriktionen

Weitere Restriktionen kommen durch Verträge zustande. Besteht beispielsweise ein Gasliefervertrag für das Kraftwerk, der Beschränkungen in Form von Take-or-Pay-Klauseln, Maximalmengen, Maximalleistung usw. enthält, so müssen auch diese Restriktionen bei der Einsatzplanung des Kraftwerks berücksichtigt werden. Verträge mit Zweckbestimmung für das Kraftwerk sind Teil der Optimierung.

5. Netzgutschriften und Netzspitze

Dezentrale Einspeiser erhalten nach StromNEV §18 vom Betreiber des Elektrizitätsverteilernetzes, in dessen Netz sie einspeisen, ein Entgelt. Dieses Entgelt entspricht den gegenüber den vorgelagerten Netz- oder Umspannebenen durch die jeweilige Einspeisung vermiedenen Netzentgelten. Vermiedene Netzentgelte sind Grenzerlöse und müssen in der Optimierung berücksichtigt werden.

Sehr hohe Erlöse entstehen hierbei durch die Vermeidung von Netzleistungspreisen. Hier kann ein einmaliges, ansonsten nicht wirtschaftliches Hochfahren des Kraftwerks zum richtigen Zeitpunkt zu hohen Erlösen führen, da dadurch die Leistungsspitze im Verteilnetz für den Referenzzeitraum abgesenkt wird. Die Ausnutzung dieser Tatsache setzt voraus, dass die Netzlast des Verteilnetzbetreiber gut genug prognostiziert werden kann.

Das Optimierungsproblem der Einsatzoptimierung und seine Lösung

Bevor das wirtschaftlich relevante Optimierungsproblem formuliert werden kann, müssen alle relevanten Restriktionen, die Auswirkung auf den Dispatch des Kraftwerks haben oder die Grenzkosten beeinflussen (wie z.B. Anfahrkosten) aufgenommen sein.

Weiterhin müssen alle Grenzkosten und Grenzerlöse des Kraftwerks bestimmt werden. In erster Näherung handelt es sich um Stromerlöse und Gaskosten, bei genauerer Betrachtung sind jedoch weitere Erlös- und Kostenbestandteile wie z.B. KWK-Zuschläge, vermiedene Netzentgelte, Steuern usw. zu betrachten.

1. Extremum mit Nebenbedingungen

Gesucht ist der Fahrplan F für das Kraftwerk, bzw. die Fahrpläne Fi für die relevanten Assets des Fernwärmeverbunds, für die der Deckungsbeitrag aus allen variablen Kosten- und Erlösbeiträgen maximal ist, unter der Nebenbedingung, dass der Fahrplan F bzw. die Fahrpläne Fi alle beschriebenen Restriktionen erfüllen. Das heißt, gesucht ist die wirtschaftlich beste Fahrweise, die die Restriktionen erfüllt.

 

Ein solches Optimierungsproblem ist in der mathematischen (und physikalischen) Literatur als Extremum mit Nebenbedingungen bekannt. In einfache Konstellationen kann man ein solches Problem seit dem 18. Jhdt mit dem Satz von d’Alembert explizit lösen. In komplizierten Fällen – das heißt in der Energiewirtschaft – benötigt man hierfür ein erst seit dem 20. Jhdt bekanntes numerisches Verfahren, den Simplex-Algorithmus.

2. Der Simplex-Algorithmus

Der Simplex-Algorithmus ist das mathematische Verfahren, das beispielsweise auch dem Excel-Solver zugrunde liegt. Das Verfahren sucht das Maximum einer linearen Gleichung unter Nebenbedingungen, die durch stückweise lineare Ungleichungen bestimmt (approximiert) sind.

 

Im dreidimensionalen Fall begrenzt eine Ungleichung mit 3 Variablen eine Seite des Raumes mit einer Fläche. Mehrere Ungleichungen begrenzen ein Simplex, was dem Verfahren den Namen gibt:

 

Dispatch Simplex

Eine lineare Gleichung (Stromerlöse minus Gaskosten) hat kein lokales Maximum. Das Maximum liegt somit auf dem Rand des Simplex. Um es zu finden, kann man auf den Kanten entlang gehen, bis sich in keiner Richtung mehr eine Verbesserung erreichen lässt.

3. Praktische Ermittlung der optimalen Fahrweise

Tatsächlich erfolgt die Optimierung der Fahrweise typischerweise in einem dafür spezialisierten System. In diesem werden alle Nebenbedingungen erfasst. Hierzu wird in der Regel eine graphische Oberfläche angeboten, die die mathematischen Abhängigkeiten in einer Schaltbild-ähnlichen Form visualisiert und den Weg der betroffenen Commodities sichtbar macht:

 

Dispatch Wandler

Die Restriktionen der einzelnen technischen Komponenten werden im Schaltbild hinterlegt, am Anfang und Ende aller Wandlungen stehen Euro. Auf diese Weise ist auch die Maximierung der Differenz zwischen gezahlten und eingenommenen Euro visualisiert.

 

Die Erfassung der Nebenbedingungen erfolgt einmalig mit Einführung des Systems. Änderungen ergeben sich aus technischen Änderungen, der Alterung des Kraftwerks, aus vertraglichen und regulatorischen Änderungen und Marktänderungen. Wegen der großen Bedeutung der Restriktionen für die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks sollten Restriktionen dokumentiert und einmal jährlich in einem geeigneten Teilnehmerkreis geprüft werden.

 

Für eine langfristige Einsatzplanung sind weiterhin aktuelle Terminpreise und möglicherweise Fernwärmelastprognosen erforderlich.

 

Das System ermittelt aus den hinterlegten Restriktionen und aktuellen Preis- und Lastdaten einen optimalen Dispatch. Hierfür errechnet es den Wert zahlreicher möglicher Fahrpläne und prüft jeweils, ob eine leichte Variation, die einem Weg auf einer Simplexkante entspricht, zu einer Verbesserung oder einer Verschlechterung des Fahrplanwertes führt. Lässt sich keine signifikante Verbesserung des Ergebnisses mehr erzielen, wird der ermittelte optimale Fahrplan ausgegeben.

 

Eine optimaler Dispatch besteht aus:

  • einem Stromfahrplan
  • einem dazu passenden Gasbezugsfahrplan
  • Fahrweisen für Speicher und andere Infrastrukturen
  • Bezugsfahrplänen für betroffene Lieferverträge (Gas und Fernwärme)

Zu der ermittelten optimalen Fahrweise gehört ein optimales Ergebnis, das sich aus der Bewertung dieser Fahrpläne mit HPFC und DFC-Preisen ergibt.

Stochastische Optimierung

Der mit obigem Verfahren ermittelte Einsatzfahrplan ist optimal unter der Bedingung, dass die Strom- und Gaspreise, die zur Ermittlung verwendet wurden, in Zukunft genau so eintreten werden. Für den Dispatch des Kraftwerks am nächsten oder laufenden Tag auf Basis von Intradaypreisen ist dies genau das Gewünschte. Das Ergebnis der Rechnung liefert für die geltenden Preise die optimale Fahrweise.

1. Delta-Hedge

Anders sieht es bei einer Optimierungsrechnung für einen langfristigen Terminzeitraum aus. Hier sind die eingehenden Terminpreise nur eine Preisprognose. Die Optimierungsrechnung bestimmt auch nicht den tatsächlichen Dispatch des Kraftwerks. Dieser wird erst viel später am Liefertag auf Basis dann geltender Preise bestimmt. Ziel einer langfristigen Optimierung ist vielmehr die Bestimmung der optimalen Position, die am Terminmarkt abgesichert werden sollte, siehe hierzu auch den Artikel zur Marktrisikosteuerung. Hierfür liefert der auf diese Weise bestimmte Fahrplan nur eine erste Approximation. Betrachtet man die Flexibilität des Kraftwerks mit allen Restriktionen als eine Realoption im Sinne der Finanzmathematik, so liefert die beschriebene deterministische Optimierung den Dispatch, für den die Realoption auf Basis der Terminpreise maximal im Geld ist. Eigentlich gesucht ist die optimale Absicherungsposition an den Energiemärkten, der Delta-Hedge für die Realoption Kraftwerk.

 

Dass eine deterministische Optimierung nicht die optimale Absicherungsposition liefert, liegt daran, dass die Fahrplanänderung des Kraftwerks nicht symmetrisch auf Preisänderungen reagiert:

  • ist der Clean Spread negativ und das Kraftwerk steht laut Optimierung zum gegebenen Zeitpunkt, dann
    • ändert sich nichts, wenn der Spread noch weiter fällt
    • fährt das Kraftwerk aber möglicherweise, wenn der Spread steigt
  • ist der Clean Spread auskömmlich und das Kraftwerk fährt laut Optimierung Volllast, dann
    • ändert sich nichts, wenn der Spread noch weiter steigt
    • sinkt der Spread jedoch, wird das Kraftwerk möglicherweise abfahren

Somit liegt die eigentlich erwartete Fahrweise des Kraftwerks niedriger, wenn die deterministische Optimierung von Volllastbetrieb ausgeht und höher, wenn die deterministische Optimierung von Stillstand ausgeht.

 

Eine genauere Bestimmung des Delta-Hedges ist somit möglich, indem man optimale Fahrweisen nicht nur für die aktuelle Terminpreiskurve ermittelt, sondern stattdessen Preissimulationen ausgehend von mehreren Ausgangspreisszenarien durchführt. Man erhält über die Auswertung aller zu einem Ausgangszenario gehörenden Simulationen einen Wert des Kraftwerks in Abhängigkeit von dem jeweiligen Ausgangsszenario. Hieraus lässt sich ermitteln, wie der Wert des Kraftwerks auf Änderung der Ausgangspreise reagiert, woraus sich wiederum der optimale Hedge ableitet.

2. Stochastische versus deterministische Optimierung

Ein solcher Ansatz erhöht den Rechenaufwand naturgemäß erheblich. Vor dem Hintergrund begrenzter Rechenleistung kann es leicht passieren, dass Genauigkeitsgewinn durch stochastische Optimierung durch unzulässige Vereinfachung der Rahmenbedingungen erkauft wird. An welcher Stelle ein ökonomisch ein größerer Fehler eintritt, ist apriori schwer vorherzusagen. Je mehr Rahmenbedingungen im Rahmen der Optimierung eingehalten werden müssen, desto geringer ist aber die Flexibilität des Kraftwerks und desto geringer ist der Unterschied zwischen stochastischer und deterministischer Optimierung.

 

Die Delta-Hedge-Position wird sinnvollerweise genau ermittelt, um sie auch ebenso exakt an den Terminmärkten abzusichern. Auf den Terminmärkten ist jedoch nur eine Absicherung in Base- und Peakprodukten möglich. Um eine genauere Rechnung zu rechtfertigen, muss die Differenz zwischen genauer und ungenauer Rechnung die Größenordnung eines handelbaren Terminproduktes erreichen.

 

Ein operativer Vorteil der stochastischen Optimierung ist jedoch, dass die Positionsänderungen auf Basis täglicher Terminpreisänderungen wegen der Mittelung geringer ausfallen. Die abzusichernden Positionen stellen sich dadurch für den Handel stabiler und vorhersehbarer dar.

Langfristige Einsatzoptimierung und -vermarktung

Wie bereits erwähnt werden Optimierungsrechnungen zu unterschiedlichen Zwecken durchgeführt. Je nach Zweck der Optimierung werden unterschiedliche Eingangsdaten verwendet und es ist ein unterschiedlicher Genauigkeitsgrad erforderlich. Einsatzoptimierungen werden z.B. für die folgenden Zwecke durchgeführt:

  • die Unternehmensplanung (5 – 10 Jahre)
  • die Absicherung der Kraftwerksergebnisse am Terminmarkt
  • die Spotvermarktung der Kraftwerkserzeugung
  • die Intradayvermarktung der Kraftwerkserzeugung
  • die Vermarktung des Kraftwerks an den Regelenergiemärkten

In der selben Kette werden auch die Vermarktungsentscheidungen getroffen.

1. Unternehmensplanung (5 – 10 Jahre)

Im Rahmen der Unternehmensplanung müssen Ergebnisse aus der Erzeugung geplant werden. Hier wird im Allgemeinen über einen Zeitraum von 5 – 10 Jahren gerechnet. Sind die Ergebnisse aus dem Betrieb der Erzeugungsanlagen dauerhaft negativ oder nicht kapitalkostendeckend, so müssen Sonderabschreibungen vorgenommen oder Rückstellungen gebildet werden. Somit haben die Ergebnisse solcher langfristigen Betrachtungen auch Auswirkung auf das buchhalterische Ergebnis.

 

Langfristige Ergebnisbetrachtungen sind auch die erforderliche Basis für strategische Entscheidungen wie z.B. den Neubau, den Verkauf oder die Stilllegung eines Kraftwerks. Hier werden Zeiträume bis zu 20 Jahren betrachtet.

 

Da Terminpreise im allgemeinen nur für einen Zeitraum von 3-4 Jahren vorliegen, ist zur Ermittlung von weiter in der Zukunft reichenden Ergebnissen eine Preisprognose auf Basis eines Fundamentalmodells erforderlich.

2. Absicherung der Kraftwerksergebnisse am Terminmarkt

Die Absicherung der Kraftwerksergebnisse am Terminmarkt kann nur für einen Zeitraum erfolgen, an dem am Terminmarkt Preise gestellt werden. Im Allgemeinen erfolgt sie für die nächsten drei Jahre. Zu diesem Zweck erfolgt am besten täglich eine Optimierungsrechnung der Kraftwerke für diesen Zeitraum auf Basis tagaktueller Terminpreise. Die aus der Optimierung resultierenden Fahrpläne repräsentieren Commoditypositionen, die Preisrisiken unterliegen, und sind im Sinne des Portfoliomanagements offene Positionen. Soweit noch keine Absicherungsgeschäfte getätigt wurden, ist für das Unternehmen:

  • der Stromerzeugungsfahrplan des Kraftwerks eine Strom – Longposition
  • der Gas- oder Kohlebedarfsfahrplan des Kraftwerks eine Gas- oder Kohle-Shortposition

Soll das aktuell in der Optimierung sichtbare Ergebnis abgesichert werden, so muss der Stromfahrplan verkauft und der Gas- oder Kohlefahrplan am Terminmarkt beschafft werden. Mit dieser Maßnahme ist sichergestellt, dass das Kraftwerk mindestens das abgesicherte Ergebnis erzielen wird. Dies ist möglich, indem das Kraftwerk den Fahrplan exakt abfährt. Tatsächlich wird das Kraftwerk ein höheres Ergebnis erzielen, denn unabhängig von dem Absicherungsgeschäft hat es weiterhin die Möglichkeit zu jedem Zeitpunkt:

  • weniger zu produzieren, Strom wieder zurückzukaufen und Gas oder Kohle wieder zu verkaufen
  • mehr zu produzieren, die Differenzmenge Strom zu verkaufen und den Differenzbedarf Gas oder Kohle zu kaufen

Beide Optionen wird man nur wahrnehmen, wenn dies zu Mehrergebnissen führt.

Tatsächlich werden solche Mehrergebnisse durch die tägliche Bewirtschaftung der Kraftwerksposition an den Terminmärkten automatisch gehoben: Immer wenn eine neue Optimierungsrechnung zu einer Anpassung des Fahrplans führt, ist es sinnvoll und profitabel, die Differenzmengen am Markt glattzustellen. Würde dies zu einem Verlust führen, wäre der alte Dispatchfahrplan mehr wert als der neue und der neue somit nicht auf Basis aktueller Marktpreise optimal.

3. Optimierung der Kraftwerksergebnisse am Terminmarkt

Die Bewirtschaftung des Kraftwerks an den Terminmärkten kann somit so erfolgen, dass die optimierte Fahrweise des Kraftwerks zu jedem Zeitpunkt vollständig am Terminmarkt abgesichert wird. Dies würde im Extremfall dazu führen, dass ein gesamtes, noch relativ weit in der Zukunft liegendes Lieferjahr auf einmal zu einem zufälligen, noch nicht wirklich liquiden Preis glattgestellt wird, sobald das neue Lieferjahr erstmals handelbar wird. Dies wird im Allgemeinen nicht für zweckmäßig erachtet.

 

Für eine zumindest ausgeglichene Marktmacht von Käufern und Verkäufern und somit für optimale Ergebnisse sollte vielmehr der Verkauf von Kraftwerkserzeugung dann stattfinden, wenn die meisten Käufer ihren Vertriebs- oder Eigenbedarf an den Energiemärkten einkaufen wollen. Vor diesem Hintergrund ist es üblich, in der Terminvermarktung der Kraftwerkserzeugung ähnliche Tranchenmodelle und Zeithorizonte anzuwenden, wie sie auch in den Vertriebsbeschaffungsstrategien Verwendung finden. Die im vorigen Abschnitt beschriebene Glattstellung von Differenzmengen aus der Einsatzoptimierung findet dann erst Anwendung, wenn die Tranchenvermarktung abgeschlossen ist und eine vollständige Absicherung der Erzeugung am Terminmarkt erstmals erreicht ist.

 

Ähnlich wie bei den Beschaffungsstrategien des Vertriebs ist es auch bei der Vermarktung der Erzeugung üblich, mit Stop-Loss und Take-Profit Limiten zu arbeiten und dem zuständigen Portfoliomanager Ermessensspielräume bei den Vermarktungsentscheidungen einzuräumen.

Spotvermarktung und Dispatch

Die bisher beschriebenen Prozesse finden vollständig im Handel statt oder könnten zumindest dort vollständig abgebildet werden. Zu guter Letzt muss aber das Kraftwerk das, was am Ende netto vermarktet wurde, auch abfahren. Umgekehrt muss der Handel reagieren, wenn das Kraftwerk ausfällt und die nicht mehr erzeugten oder benötigten Mengen an den Energiemärkten glattstellen. Somit ist bei den kurzfristigen Märkten am Ende der Vermarktungskette ein direkter Informationsfluss zwischen Handel und Erzeugung über die aktuellen Dispatch erforderlich.

1. Das kurzfristige Optimierungsproblem

Die kurzfristige Optimierung betrifft höchstens die drei folgenden Tage. Das Rechenproblem ist hier also wesentlich kleiner als bei der Terminoptimierung. Allerdings spielt in den kurzfristigen Märkten – vor allem im Intradaymarkt – Bedienbarkeit, Komfort und Rechengeschwindigkeit eine viel größere Rolle.

 

Das Optimierungsmodell mit den Restriktionen des Kraftwerks bleibt grundsätzlich für alle Zeiträume gleich. Allerdings ist es gegebenenfalls notwendig, großräumige Restriktionen wie eine Take-or-Pay über das Gaswirtschaftsjahr auf kleinräumige Zeiträume herunterzubrechen. Alle Verfahren in diesem Zusammenhang sind willkürlich und führen potentiell zu ex post nicht optimalen Ergebnissen.

2. Vorbörsliche Optimierung

Kurzfristige Optimierungen werden typischerweise das erste Mal am Morgen vor Abgabe des Börsengebotes für den Folgetag durchgeführt. Da die Ergebnisse der Börsenauktion noch nicht vorliegen, erfolgt diese Optimierung auf Basis einer kurzfristigen Strom- und Gaspreisprognose. Das Ergebnis gibt sowohl dem Handel als auch der Leitwarte der Erzeugung eine erste Indikation wie der Fahrplan des Folgetages aussehen wird.

 

Die Börse erlaubt das Einstellen limitierter Gebote. Es ist somit sinnvoll, zur Erstellung des Börsengebotes mehrere Preisszenarien durchzurechnen und ein limitiertes Gebot zu einem Preisniveau abhängigen Dispatch zu erstellen. Optimalerweise sollte dies automatisiert durch die Optimierungssoftware geleistet werden. Sobald das Börsenergebnis vorliegt, muss der resultierende Kraftwerksdispatch an den Handelsmärkten umgesetzt werden und an die Leitwarte des Kraftwerks kommuniziert werden.

3. Laufende Optimierung im Intradaymarkt

Auf Basis von Intradaymarktpreisen kann der Fahrplan dann laufend bis kurz vor Lieferung angepasst werden. Möglicherweise wird der zuständige Händler in einem volatilen Markt nicht unbedingt jede Änderung sofort an die Leitwarte des Kraftwerks durchgeben, sondern zunächst abwarten, ob er eine Differenzposition sofort wieder vorteilhaft schließen kann. Nichtsdestoweniger erfolgt an dieser Stelle eine enge Abstimmung zwischen Handel und Leitwarte, die sicherstellt, dass der am Ende resultierende Vermarktungsfahrplan auch durch das Kraftwerk abgefahren wird.

Berichtswesen: Steuerung von Ergebnis und Risiko

Sowohl die Optimierung selbst, wie auch die sukzessiven Vermarktungsprozesse sind komplex. Zur Steuerung von Ergebnis und Risiko, wie auch zur Früherkennung von operativen Fehlern und Problemen ist ein Reporting erforderlich.

1. Darstellung der Erzeugung im Energiehandel

Die aus der Einsatzoptimierung hervorgehenden Strom- und Gasfahrplane stellen Marktrisikopositionen dar und sollten im Handel ebenso wie alle anderen Marktrisikopositionen abgebildet werden. Das bedeutet, dass die Differenz zwischen dem aktuellen Stromerzeugungsfahrplan und der derzeit netto vermarkteten Position eine offene Stromposition darstellt, die dem Kraftwerk zuzuordnen ist. Sie sollte ebenso zum Markt bewertet und über Risikokennzahlen begrenzt werden, wie offene Positionen im Energiehandel. Dasselbe gilt für die Shortpositionen in Gas. Hieraus resultiert ein Erzeugungsportfolio, dass die folgenden Risikopositionen enthält:

  • die Longposition aus der Stromerzeugung des Kraftwerks
  • alle Handelsgeschäfte auf dem Strommarkt, die zur Absicherung dieser Longposition getätigt wurden
  • die Shortposition aus dem Gasbedarf des Kraftwerks
  • alle Handelsgeschäfte auf dem Gasmarkt, die zur Absicherung dieser Shortposition getätigt wurden
  • die Shortposition aus dem Bedarf des Kraftwerks an CO2-Zertifikaten
  • alle Handelsgeschäfte in CO2-Zertifikaten, die zur Beschaffung getätigt wurden
  • sonstige Risikopositionen, die das Ergebnis des Kraftwerks bestimmen, z.B. langfristige Lieferverträge und Absicherungsgeschäfte für Risikofaktoren dieser Verträge (z.B. HEL)

Ein solches Portfolio kann in der üblichen Weise täglich bewertet und berichtet werden. Auf diese Weise kann dem Unternehmen täglich der aktuelle Marktwert der Erzeugung kommuniziert werden. In der täglichen Berichtersstattung wird dann das tatsächlich für das Kraftwerk an den Terminmärkten erzielte Ergebnis aus den relevanten Commodity-Spreads ausgewiesen. Alle nicht abgesicherten Terminmarktpositionen werden zum Markt bewertet. Auch die resultierenden Marktrisiken können wie üblich gesteuert werden. Die offenen Positionen werden dabei commodity-scharf ausgewiesen, eine Risikobewertung mit VAR kann jedoch commodityübergreifend für alle offenen Positionen erfolgen.

2. Unternehmensweite Kommunikation

Die Kommunikation der jeweils aktuellen Einsatzoptimierungsfahrpläne in graphischer und tabellarischer Form hilft, Misskommunikationen zur Verfügbarkeit des Kraftwerks oder technischen Rahmenbedingungen, mögliche Fehler in der Optimierung und andere Probleme frühzeitig zu entdecken und schafft einen gemeinsamen Informationsstand zur erwarteten Fahrweise und Profitabilität des Kraftwerks. Dies ist auch für die technische Planung und die Personalplanung in der Erzeugung wichtig.

 

Die im Energiehandel verfolgte Ergebnisentwicklung der Erzeugung liefert relevante Informationen für das Controlling. Sie entspricht mehr oder weniger dem DB1 der Erzeugung.

Agieren an den Regelmärkten

Mit einem Kraftwerk können zusätzliche Ergebnisse am Regelmarkt erzielt werden. Dabei wird das Kraftwerk automatisiert vom Übertragungsnetzbetreiber aufgerufen, um mit einer Anfahrt oder einer Abfahrt zur Netzstabilität beizutragen.  Regelleistung wird in unterschiedlichen Qualitäten ausgeschrieben:

  • Minutenreserveleistung (tägliche Ausschreibung)
  • Sekundärreserveleistung (wöchentliche Ausschreibung)
  • Primärreserveleistung (wöchentliche Ausschreibung)
  • sofort abschaltbare Leistungen (monatliche Ausschreibung)
  • schnell abschaltbare Leistungen (monatliche Ausschreibung)

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Für die Teilnahme an den Regelmärkten ist eine Präqualifizierung erforderlich, bei der nachgewiesen wird, dass das Kraftwerk die für die Regelenergiequalität geforderten Laständerungen abfahren kann. Die Vergütung der Aufrufe des Kraftwerks bestimmt sich dann über die täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Ausschreibungen.

 

Die Ausschreibungen sehen eine Vergütung in Arbeits- und Leistungspreis vor. Der Leistungspreis wird dabei bei Zuschlag für die Vorhaltung der Leistung bezahlt, der Arbeitspreis nur bei tatsächlichem Abruf des Kraftwerks. Ökonomisch muss der Leistungspreis die verlorene Flexibilität des Kraftwerks kompensieren, das Leistungsspielräume für einen eventuellen Abruf bereithalten muss. Der Arbeitspreis muss dagegen die Grenzkosten des Kraftwerks für die tatsächliche Abfahrt des Regelleistungsabrufs kompensieren.

 

Entsprechend können Mindestpreise für Gebote am Regelleistungsmarkt über Optimierungsrechnungen ermittelt:

1. Optimaler Leistungspreis

Ein erfolgreiches Gebot am Regelleistungsmarkt zwingt das Kraftwerk, für den Angebotszeitraum die erforderliche Leistungsänderung bereitzuhalten. Es schränkt somit die Flexibilität des Kraftwerks ein. Das Kraftwerk ist für den Angebotszeitraum an den übrigen Energiemärkten weniger wert. Der Wert des Kraftwerks im Angebotszeitraum (1 Tag bis zu 1 Monat) kann in erster Näherung durch eine Optimierungsrechnung bestimmt werden. Ein solcher Wert wird einmal ohne Leistungseinschränkung (W0) und einmal mit Leistungseinschränkung (WR) durchgeführt. Der Wertverlust des Kraftwerks ergibt sich dann als W0 abzüglich WR. Dieser Wertverlust muss durch den Leistungspreis gedeckt werden.

 

Auf diese Weise erhält man den minimalen Leistungspreis, für den ein Angebot am Regelleistungsmarkt sinnvoll ist. Interessanter ist freilich der maximale Preis, mit dem man noch einen Zuschlag erhalten könnte. Noch interessanter wäre ein Verfahren der Preissetzung, mit dem man am meisten Geld verdient. Hierzu kann man die umfangreiche Datenbank der Übertragungsnetzbetreiber einer Vielzahl von statistischen Analysen unterziehen. Siehe hierzu auch den Artikel „Welche Erlöse bietet der Regelmarkt“.

2. Optimaler Arbeitspreis

Der Arbeitspreis ergibt sich aus den Grenzkosten für das Abfahren des Aufrufs. Für positive Regelenergie sind dies im Wesentlichen die Gaskosten. Für die Bereitstellung von negativer Regelenergie fallen oftmals keine Grenzkosten an.

3. Gesamtprozess der kurzfristigen Einsatzoptimierung

Im Rahmen des Gesamtprozesses hat die Bereitstellung von Regelleistung Auswirkung auf die nachfolgende Optimierung an den kurzfristigen Märkten. Wird für den Folgetag Regelleistung bereitgestellt, so muss die Optimierung für die Vermarktung an den Spot- und Intradaymärkten die Einschränkung hieraus als zusätzliche Rahmenbedingung berücksichtigen. Wurde negative Regelleistung angeboten, so muss das Kraftwerk fahren, wurde positive Regelleistung angeboten, muss das Kraftwerk die entsprechende Regelleistung bereithalten und kann somit nicht voll fahren.

 

Insgesamt ist die optimale Terminmarktabsicherung und der optimale Dispatch der Erzeugungsanlagen eine der komplexesten und interessantesten Aufgaben der Energiewirtschaft. Sicherlich könnte man zu vielen Aspekten mehr sagen. Wichtige Themen wie z.B. der optimale Einsatz von Atomkraftwerken unter Berücksichtigung der Restriktion der verbleibenden Benutzungsstunden und einige regulatorische Aspekte wie z.B. der zwangsweise sogenannte „Redispatch“ durch den Netzbetreiber wurden nicht behandelt.

 

Ich hoffe, dass Ihnen die Themenauswahl und dieser Übersichtsartikel gefallen hat und freue mich auf Fragen und Anmerkungen.

 

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