Wie funktioniert der Markt für Regelleistung, über den der Übertragungsnetzbetreiber Flexibilitäten zur Netzstabilisierung beschafft? Wie haben sich die Preisstrukturen dort entwickelt und mit welchen Erlösen kann man dort realistischerweise rechnen?
Populäre Visionen von virtuellen Kraftwerken, Smart Grids und Elektromobilität sehen auch die kleinsten dezentralen Erzeugungsanlagen bis hin zum Privatkunden und der Batterie des Elektroautos in der Rolle, das Übertragungsnetz zu stabilisieren.
IT-technische Steuerungssysteme sollen dabei Sorge tragen, dass minimale Flexibilitäten intelligent zusammengeführt werden, so dass das Netz stabil bleibt, ohne dass die angeschlossenen Verbraucher Komforteinbußen erleiden müssen. Auch die angebotsabhängige, bedarfsunabhängige Bereitstellung von Strom aus erneuerbaren Energien und die Besitzstände der Betreiber bleiben dann – so das Wunschszenario – unangetastet.
Ein oberflächlicher Blick auf Niveau und Entwicklung der Regelenergiepreise, die die Höhe möglicher Erlöse aus der Bereitstellung von Flexibilität bestimmen, kann jedoch bei konkreten Businesscases schnell für Ernüchterung sorgen.
Systemstabilität
Aufgabe der deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) ist es, das Übertragungsnetz stabil zu halten. Hierzu muss die Frequenz des Wechselstroms in einem engen Korridor um den Sollwert 50 Hz gehalten werden.
Weicht die Frequenz zu stark vom Sollwert ab, nehmen Kraftwerksturbinen und viele Industrieanlagen Schaden. Sie gehen somit bei Erreichen eines kritischen Wertes automatisch vom Netz. Das Netz wird schwarz.
Der Markt für Regelleistung
Damit dies nicht passiert, muss von den Übertragungsnetzbetreibern das Leistungsgleichgewicht zwischen Stromerzeugung und ‑abnahme in ihrer Regelzone in jedem Moment aufrecht erhalten werden.
Zu diesem Zweck beschaffen die ÜNB über eine gemeinsame Ausschreibungsplattform sogenannte Regelleistung.
Es wird sowohl positive Regelleistung (auf Anforderung zusätzliche Einspeiseleistung bereitstellen) und negative Regelleistung (auf Anforderung zusätzliche Last bereitstellen) benötigt.
Regelleistung gibt es in verschiedenen Qualitäten:
- Minutenreserveleistung
- Sekundärregelleistung und
- Primärreserveleistung
Die Qualitäten unterscheiden sich darin, wie schnell die geforderte Leistung nach Aufruf aktiviert werden kann. Primärreserve wird sofort automatisch aktiviert, Minutenreserve erst binnen 15 Minuten.
Auch der Aufrufprozess unterscheidet sich:
- Primärreserve wird automatisch bei Sollwertabweichung aktiviert
- Sekundärreserve wird automatisch durch den ÜNB abgerufen
- Minutenreserve wird manuell durch den ÜNB aufgerufen
Dabei löst jeweils die langsamer aktivierbare Reserve die schneller aktivierbare Reserve ab, damit letztere wieder für neue Störfälle zur Verfügung steht:
Präqualifizierung
Für die Teilnahme an der Regelenergieausschreibung und die Bereitstellung von Regelleistung ist eine Präqualifizierung erforderlich.
Im Rahmen der Präqualifizierung wird der Nachweis erbracht, dass bei Aufruf tatsächlich die erforderliche Leistungsänderung zuverlässig bereitgestellt werden kann. Weiterhin ist auch die zuverlässige Datenübertragung im Rahmen des Aufrufs und die Gewährleistung der IT-Sicherheit hierbei Gegenstand der Prüfung. Anforderungen an die Präqualifikation und viele andere Informationen finden sich auf der Regelleistung.net – Seite der Übertragungsnetzbetreiber. Für die Präqualifizierung und die Ausschreibung sind außer der oben genannten Primär-, Sekundär- und Minutenreserve auch die Reservekontrakte
- Sofort abschaltbare Lasten (SOL) und
- Schnell abschaltbare Lasten (SNL)
zugelassen. Jeweils 1.000 MW Regelleistung werden monatlich durch den ÜNB in diesen Kontrakten beschafft.
Wesentlicher Inhalt der Präqualifikation ist der technische Nachweis, dass ein vorgegebenes Profil abgefahren werden kann. Hierfür wird ein Musterprofil vorgegeben.
Minutenreserve muss binnen 15 Minuten verfügbar sein. Hierzu wird das folgende Musterprofil nachgewiesen.
Bei Sekundärreserve muss die volle Leistungsänderung binnen 5 Minuten verfügbar sein,
bei Primärreserve sogar binnen einer halben Minute.
Über diese drei Reserveformen hinaus können die deutschen ÜNB in Ausnahmesituationen auf weitere Maßnahmen zurückgreifen. Hierzu gehört auch die Aktivierung stillstehender Kraftwerke (Kaltreserve), der Einsatz abschaltbarer Lasten oder Börsengeschäfte.
Minutenreserve, Sekundärreserve, Primärreserve und abschaltbare Lasten werden separat ausgeschrieben und erzielen unterschiedliche Preise. Naturgemäß ist Primärreserve im Mittel teurer als Minutenreserve. Davon abgesehen erzielt jeder Anbieter tendenziell einen anderen Preis und die erzielten Preise können weit streuen.
Bietverfahren und Preisstrukturen
Das Ausschreibungsverfahren für Regelleistung ist Pay-as-Bid, d.h. jeder Anbieter erhält bei Zuschlag den von ihm angebotenen Preis.
Die Gebote für Primärreserveleistung (PRL) enthalten nur einen Leistungspreis, Gebote für Sekundärreserveleistung (SRL) und Minutenreserveleistung (MRL) einen Arbeitspreis und einen Leistungspreis. Der Leistungspreis entschädigt den Anbieter dafür, dass er die angebotene Leistungsänderung bereithält und somit beispielsweise nicht die volle Kapazität seines Kraftwerks an den Energiemärkten vermarktet. Die Arbeitspreiskomponente entschädigt den Anbieter bei Aufruf für die Kosten der Produktion bzw. für das Abfahren des Kraftwerks oder die Lastbereitstellung. Arbeitspreise für den Abruf negativer Regelleistung können sowohl vom Netzbetreiber an den Anbieter wie auch umgekehrt gezahlt werden. Dies bedeutet, dass auf Abruf abgenommenen Strom teilweise durch den Abnehmer noch geringfügig vergütet wird, teilweise muss der Abnehmer bereits für die Abnahme entschädigt werden.
Zusammengefasst sehen die Ausschreibungsmodalitäten wie folgt aus:
PRL | SRL | MRL | |
Ausschreibungsfrequenz | wöchentlich | wöchentlich | täglich |
Ausschreibungszeitpunkt | dienstags in der Vorwoche | mittwochs in der Vorwoche | Mo-Fr am Vortag |
Lieferrichtung | symmetrischer Kontrakt (positive und negative Reserve) | separate Ausschreibung positiver und negativer Reserve | |
Lieferzeitraum | Wochenkontrakt | zwei Wochenkontrakte: HT(=Peak) und NT(= Offpeak) | sechs 4-Stundenblöcke (z.B. POS_00_04: Lieferung positiver Reserve von 0-4 Uhr) |
Mindestgröße | 1 MW | 5 MW | 5 MW (Abgabe von Blockgeboten bis 25 MW möglich) |
Angebotsgranularität | 1 MW | 1 MW | 1 MW |
Die Zuschlagserteilung für die benötigte Bereitstellung von Regelleistung erfolgt durch die ÜNB zunächst nach dem Leistungspreis. Die Anbieter, die den Zuschlag erhalten haben, werden bei tatsächlichem Regelleistungsbedarf in der Reihenfolge des angebotenen Arbeitspreises aufgerufen.
Die Mindestgrößen wie auch die geforderte sichere Bereitstellung abgerufener Leistung führen dazu, dass kleinere Marktteilnehmer gewöhnlich indirekt über sogenannte Regelenergiepools am Minuten- und Sekundärreservemarkt teilnehmen. Dies sind Aggregatoren, die Flexibilitäten vieler kleiner Anbieter zu einem virtuellen Kraftwerk bündeln, das dann am Regelenergiemarkt teilnimmt. Dies erfordert eine zuverlässige IT-Infrastruktur für den koordinierten Abruf, die ebenfalls Gegenstand der Präqualifizierung ist. Große Regelenergiepools sind Kritische Infrastrukturen im Sinne des IT-Sicherheitsgesetzes.
Historische Angebotsdaten, Zuschlagserteilung und abgerufene Arbeit können auf der Plattform Regelleistung.net im Detail abgerufen werden. Somit lassen sich auch statistische Aussagen zu erzielbaren Erlösen treffen, was wir im Folgenden tun möchten.
Wie bereits erläutert, setzen sich die Erlöse am Minuten- und am Sekundärmarkt aus Leistungspreiserlösen und Arbeitspreiserlösen zusammen, während am Primärmarkt nur die zur Verfügung gestellte Leistung vergütet wird. Im Folgenden gehen wir anhand der Daten auf Regelleistung.net für das Jahr 2016 auf die folgenden Erlösquellen ein:
- Leistungspreiserlöse der Minutenreserve
- Arbeitspreiserlöse der Minutenreserve
- Erlöse aus der Primärreserve
Leistungspreiserlöse MRL
Wie in der obigen Tabelle dargestellt, erfolgt die Ausschreibung für die Minutenreserve für Blöcke à 4 Stunden getrennt nach positiver und negativer Reserveleistung. Die folgenden Graphiken zeigen für jeden Tag des Jahres 2016 die Leistungspreise, die bezuschlagte Anbieter im Mittel erzielt haben (blau), und welche maximalen Leistungspreise am jeweiligen Tag erzielt wurden (rot), wiederum getrennt nach negativer und positiver Reserveleistung.
Im Mittel wurde von den Anbietern negativer Minutenreserve somit ein Leistungspreis von 2,99 €/MW erzielt, wobei dies je nach Kontrakt und Tag stark unterschiedlich ausfällt. Die maximal erzielten Preise schwanken mit in der Spitze bis zu 109 €/MW deutlich mehr als die mittleren Preise, bleiben aber im Jahresdurchschnitt für negative Minutenreserve ebenfalls bei relativ moderaten 9,85 €/MW.
Bei Leistungspreisen für positive Minutenreserve ist eine noch extremere Schwankung sichtbar. In der Spitze wurde am 14. Juni ein Wert von 989 €/MW erreicht (in der Graphik abgeschnitten). Der mittlere erzielte Leistungspreis pro Tag lag im Durchschnitt bei 4,05 €/MW, der maximale Leistungspreis pro Tag im Durchschnitt bei 16,31 €/MW.
Relevant ist insbesondere der maximal bezuschlagte Preis für jeden individuellen Kontrakt. Er stellt den Kontraktpreis dar, der für einen einzelnen Anbieter theoretisch in der jeweiligen Ausschreibung erzielbar gewesen wäre, wenn sich alle anderen Anbieter unverändert verhalten hätten.
In der folgenden Tabelle werden für alle Kontraktarten die Jahresmittel für den maximalen und mittleren täglichen bezugschlagten Leistungspreis angegeben:
Kontrakt | mittlerer Tagespreis |
maximaler Tagespreis |
NEG_00_04 | 4,76 | 7,71 |
NEG_04_08 | 4,57 | 7,39 |
NEG_08_12 | 1,95 | 3,24 |
NEG_12_16 | 3,34 | 5,54 |
NEG_16_20 | 1,86 | 3,14 |
NEG_20_24 | 1,70 | 2,92 |
POS_00_04 | 1,30 | 2,18 |
POS_04_08 | 4,01 | 8,58 |
POS_08_12 | 5,84 | 9,69 |
POS_12_16 | 2,80 | 4,61 |
POS_16_20 | 6,44 | 10,13 |
POS_20_24 | 3,90 | 6,30 |
Anhand des täglich maximal bezuschlagten Leistungspreises (rot) je Kontrakt kann ermittelt werden, welche Zuschlagsquote für einen gegebenen Angebotspreis (blau) zu erwarten gewesen wäre:
Zum Beispiel hätte ein Anbieter auf den Kontrakt NEG_00_04 mit einem Gebot in Höhe des mittleren erzielten Tagespreises in Höhe von 4,75 €/MW an 146 Tagen einen Zuschlag erhalten und hiermit 693,5 €/MW im betrachteten Jahr aus der Bereitstellung negativer Regelleistung gemäß dem Kontrakt NEG_00_04 erlöst. Mit einem Preis von 12 €/MWh war die Zuschlagswahrscheinlichkeit zwar mit 63 Tagen deutlich geringer, die Erlöse hätten jedoch mit 762 €/MW etwas höher gelegen.
Wie die Graphik nahelegt, führt eine kurzfristige Anpassung des Gebotspreises zu noch höheren Erlösen. Ein Gebot in Höhe von 2/3 des Vortagesmaximums hätte beispielsweise zu Erlösen von gut 1000 €/MW geführt. Der nächste Schritt wäre somit, kurzfristige Prognoseverfahren (Filter) auf das Problem anzuwenden.
Derselbe Anbieter kann weiterhin auch auf die anderen 5 Kontrakte (Zeitfenster) für negative Reserve bieten und möglicherweise gleichzeitig positive Reserve anbieten. Trotzdem sind die möglichen Erlöse aus Leistungspreisen für Minutenreserve eher begrenzt.
Arbeitspreis-Erlöse MRL
Eine weitere Erlösquelle können Arbeitspreise darstellen. Viele Anbieter setzen den Arbeitspreis auf Null, andere sind vorrangig an Erlösen aus dem Leistungspreis interessiert und setzen prohibitive Arbeitspreise. Letzteres führt zu einem starken Anstieg der Angebotskurve für Regelenergiearbeit am hinteren Ende mit Preisen, die sehr selten abgerufen werden. Nur bei sehr hohem Bedarf an Regelenergiearbeit werden solche Angebote mit hohen Arbeitspreisen in Anspruch genommen. Durch die Pay-as-Bid-Regelung werden sie nur für die letzten MW bezahlt. Die Durchschnittskosten für die Regelenergiearbeit bleiben trotzdem moderat.
Hier die Angebotskurve für NEG_00_04 am 01.01.2016:
Man sieht, dass an diesem Tag keine negativen Preise eingestellt wurden.
Möchte man wissen, zu welchen Preisen tatsächlich Arbeit aufgerufen wurde, so muss die ebenfalls bei Regelleistung.net verfügbare abgerufene Leistung (Nachfrage) gegen die zum jeweiligen Zeitpunkt geltende Angebotskurve gelegt werden. So lässt sich pro Viertelstunde ein mittlerer aufgerufener Arbeitspreis und ein Grenzpreis ermitteln. Für negative abgerufene Regelleistung (grau) sehen die maximal (rot) und durchschnittlich (blau) erzielten Arbeitspreise wie folgt aus:
Negative Minutenreserve wird nur gelegentlich abgerufen. Wenn ein Abruf erfolgt, ist der durchschnittliche Arbeitspreis in der Regel positiv. Nur an einem einzigen Tag im November war der Arbeitspreis leicht negativ (grüner Kreis). Nur an diesem Tag hat der Netzbetreiber also Geld für den abgenommenen Strom erlöst. Die Kosten pro abgerufene MW sind im Mittel 17,25 €/MW. Der maximale abgerufene Preis bei Aufruf liegt im Mittel bei 26 €/MW.
Für positive Reservearbeit sieht das Bild wie folgt aus:
Hier liegt der mittlere erzielte Arbeispreis regelmäßig nur geringfügig unter dem maximalen erzielten Preis. Offenbar ist ein großer Teil der Marktteilnehmer recht gut darin, den Clearingpreis zu raten. Weiterhin sieht man, dass ein relativ hoher Bedarf nicht notwendig zu hohen Arbeitspreisen führt.
Positive Regelenergie-Arbeitspreise müssen die Grenzkosten der Erzeugung für ein Kraftwerk decken. Die optimale Bestimmung der (Mindest-)Angebotspreise ist somit eine Aufgabe im Rahmen der Einsatzoptimierung des Kraftwerks.
Erlöse aus der Primärreserve
Ähnliche Betrachtungen wie gerade gezeigt können auch für den Sekundärreservemarkt gemacht werden. Naturgemäß sind hier die möglichen Erlöse höher. Wir stellen hier als letzten Punkt den Primärreservemarkt da. Dort gibt es nur Leistungspreise. Die Graphik zeigt den maximal bezuschlagten und den mittleren Leistungspreis jeder Ausschreibungswoche. Diese letzte Darstellung hat vorrangig das Ziel, die Unterschiede im Preisniveau gegenüber dem MRL-Markt zu demonstrieren.
Im Jahr 2016 hätte man hier mit einem Leistungspreis von 1900 €/MW stets einen Zuschlag erhalten. Über 52 Wochen des Jahres ergeben sich hieraus Erlöse von knapp 100 T €/MW. Somit ist dort relativ einfach ein Vielfaches der möglichen Erlöse auf dem Minutenreservemarkt erzielbar. Soll jedoch – wie dies bei den Visionen zu virtuellen Kraftwerken und Elektromobilität der Fall ist – nur eine Leistung im kW-Bereich vermarktet werden und davon noch ein Dienstleister bezahlt und eine technische Infrastruktur zur Koordinierung der Anlagen amortisiert werden, so wecken auch diese Erlöse keine Phantasien.